Auf Wiesen, an Wegrändern, auf Grünstreifen und Brachen, ja sogar auf Parkplätzen oder in Mauerritzen – der Wegerich begegnet uns auf Schritt und Tritt. Nicht umsonst nennt man ihn den König der Wege. Dort wo andere Pflanzen niedergetrampelt werden, fühlt er sich wohl. Mit ihren klebrigen Samen haften sich Wegeriche an Schuhsohlen oder Tierfüße und eroberten so ganze neue Kontinente. Aber Wegeriche sind nicht nur fast überall auf der Welt verbreitet, sondern werden auch seit Jahrtausenden als vielseitige Heilpflanzen geschätzt. Ob Atemwegserkrankungen, Verdauungsstörungen, Insektenstiche, Entzündungen, Blasen oder blutende Wunden – mit dem Wegerich ist immer ein kraftvolles Heilkraut zur Hand. In der Wildkrautküche ist der Wegerich ebenso beliebt, denn er bringt ein champignonartiges Aroma in viele Gerichte. Der Spitzwegerich wurde 2014 zur Pflanze des Jahres gekürt. Seine Gefährten, der Breit- und der Mittelwegerich, hätten es genauso verdient.
Mal unscheinbar klein, mal prachtvoll gewachsen begegnet uns der Wegerich heute nahezu überall. Die ausdauernden und anspruchslosen Pflanzen sind unseren Fußstapfen in die ganze Welt gefolgt und von den Ebenen bis zu den Almen hinauf zu finden. Die drei in Deutschland hauptsächlich vorkommenden Wegerich-Arten Spitz-, Breit- und Mittelwegerich sind an den starken Rippen, die sich längs durch ihre Blätter ziehen, leicht zu erkennen. Da alle drei ähnlich heilkräftig und essbar sind, ist eine Verwechslung untereinander nicht dramatisch. Wer ein wenig genauer hinschaut, kann die drei aber leicht an Blatt- und Blütenform unterscheiden. Allen gemeinsam sind die ausgeprägten Leitbündel in den Blattrippen, eine bodenständige Blattrosette und blattlose Blütenstängel.
Der Spitzwegerich (plantago lanceolata) hat, wie sein lateinischer Name beschreibt, schmale lanzettähnliche Blätter. Diese streckt er meist in die Höhe, besonders wenn er zwischen anderen Pflanzen in saftigen Wiesen wächst. Seine kugelige bis walzige Blütenähre ist relativ kurz und von bräunlicher oder schwarz-grüner Farbe. Während der Blüte wird die Ähre von einem Ring weißer Staubfäden überragt, der von unten nach oben wandert. Weil er bei der Bestäubung eher auf den Wind als auf Insekten vertraut, duftet der Spitzwegerich nicht.
Genauso hält es der Breitwegerich (plantago major). Er verzichtet sogar auf den auffälligen Blütenring und bildet eine lang gestreckte bräunlich-grüne Blütenähre mit winzigen, kaum herausragenden Staubfäden. Der Breitwegerich verdankt seinen Namen seinen breiten, eiförmigen und oft flach an den Boden gedrückten Blättern. Er wächst am liebsten auf offenen Flächen und Gehwegen oder fasst – wie der Löwenzahn – in den kleinsten Ritzen Fuß. Konkurrenz mag er nicht. Die muss er aber auch kaum fürchten, da er sehr trittfest ist, kann er sogar auf befahrenen oder berittenen Wegen wachsen.
Der mittlere Wegerich (planatago media) ist optisch ist eine Mischung aus Breit- und Spitzwegerich. Seine Blätter sehen dem Breitwegerich zum Verwechseln ähnlich, sind allerdings behaart. Seine Blütenform ähnelt eher dem Spitzwegerich. Die Blütenähre ist jedoch größer und schmückt sich mit einem auffälligen Ring aus manchmal weißen, oft aber auch rosa- oder lilafarbenen langen Staubfäden. Da der Mittlere Wegerich auf Insekten als Bestäuber setzt, verbreiten seine Blüten einen lieblichen Duft. Alle drei Arten sind ausgesprochene Tiefwurzler und können sich so auch auf kargem Boden gut mit Nährstoffen versorgen.



Essbar ist bei den hier vorgestellten Wegericharten die ganze Pflanze. Die feingliedrige Wurzel der Wegeriche wurde früher im Winter als Gemüse gegessen. Die jungen Blätter aller drei Arten kann man sehr fein geschnitten in Salate oder Kräuterquark mischen oder sie wie Spinat, in Suppen oder als Wildgemüse nutzen. Sehr wahrscheinlich waren Wegerichblätter Bestandteil der heiligen Neun-Kräuter-Suppe, auch als „Grüne Neune“ bekannt. Die Kultsuppe wurde zum Fruchtbarkeitsfest im Frühjahr aus den ersten frischen Pflanzen zubereitet, um den Menschen nach der langen Winterzeit Vitamine und Lebensenergie zurückzugeben. Eine Erinnerung an diesen vorchristlichen Brauch ist die heute noch in vielen Gegenden zubereitete Gründonnerstagssuppe.
Die Frühlingsblätter von Breit- und Mittelwegerich kann man auch als Rohkostsnack mit Frischkäse bestrichen genießen, Die älteren Blätter der beiden lassen sich gegart in der Küche nutzen oder wie Sauerkraut einlegen. Gekocht oder gedämpft schmecken sie wie eine Mischung aus Spinat und Kohl. Oft wird empfohlen, die zähen Blattrippen vor der Verwendung zu entfernen oder die Blätter zumindest quer zur Faser klein zu schneiden. Vom Geschmack her sind die Blätter des Spitzwegerichs herbwürzig und leicht bitter. Die des mittleren Wegerichs sind etwas milder und champignonartig. Die Blätter des Breitwegerichs haben ein eher mild-frisches Aroma. Getrocknete Blätter aller drei Arten eignen sich zur Aromatisierung von Rauchtabak und sollen trotz des von Rauchern bestätigten guten Geschmacks die Lust aufs Rauchen mindern.
Die Blüten und Fruchtstände von Spitz- und Mittelwegerich schmecken ebenfalls leicht champignonartig. Man kann sie roh als Snack knabbern, über Salate geben oder süß-sauer als Kapernersatz einlegen. Beim Breitwegerich ist das Champignon-Aroma nicht so stark ausgeprägt. Wegen seinem geringen Eigengeschmack und der guten Gelierfähigkeit seiner Samen kann man ihn aber stattdessen für Süßspeisen verwenden. Außerdem eignet er sich als Zutat in Broten, Bratlingen oder Aufläufen. Die Samen aller drei Arten schmecken nussig. Da sie sehr ölhaltig sind, kann man aus ihnen ein wertvolles Speiseöl pressen. Unter Survival-Experten gelten die Wegerichsamen als wichtige Notnahrung. Wer sie nicht selbst essen will, kann sie den Vögeln als Winterfutter anbieten. Da Wegeriche 2-3 Millionen Pollen je Blütenstand produzieren und zu den Heuschnupfenauslösern gehören, sollten Pollenallergiker die Blütenstände nicht verwenden.
Interessanterweise sind Wegeriche, insbesondere der Spitzwegerich, heute vor allem als Heilpflanzen der Atemwege bekannt. Seine Kombination an Wirkstoffen macht den Wegerich zur kraftvollen Lungenheilpflanze. Der hohe Gehalt an Kieselsäure festigt das Lungengewebe, Schleimstoffe umhüllen und schützen gereizte Schleimhäute, antibakterielle sekundäre Pflanzenstoffe bekämpfen Krankheitserreger, die enthaltenen Gerbstoffe festigen die Schleimhäute. Dazu enthält er viel Vitamin A, B und C sowie Zink, Eisen und Calcium. Spitzwegerich ist ein starkes Naturheilmittel bei Husten, Keuchhusten, Lungenasthma, Lungenspitzenkatarrh und Lungentuberkulose. Gegen Bronchialasthma empfiehlt Maria Treben eine Teemischung aus Wegerich und Thymian-Blättern zu gleichen Teilen.
Der frische Pflanzenpresssaft wird neben der Behandlung von Lungenleiden auch gegen Magen- und Darmentzündungen, Verdauungsstörungen oder Blutungen eingenommen. Willfort empfiehlt dazu einen Esslöffel Pflanzensaft mit ½ EL warmen Wasser verrührt. Kneipp empfiehlt ihn außerdem zur Blutreinigung, insbesondere bei chronischen Hauterkrankungen. Äußerlich hilft der zuverlässig gegen den Juckreiz bei Insektenstichen und wirkt abschwellend, auch bei Prellungen. Regelmäßige Auflagen sollen zudem gegen hartnäckige Geschwüre helfen.
Wegeriche sind werden seit dem Altertum als Heilpflanzen verwendet. In der altchinesischen Medizin genossen sie hohes Ansehen und wurden wegen ihrer harntreibenden Kraft, der hustenstillenden Wirkung und ihrer entzündungshemmenden Effekte gelobt. Zudem solle der Wegerich die Sexualkraft der Männer und die Fruchtbarkeit der Frauen vermehren. Da europäische Kräuterbücher sich über diese Wirkung auf die Libido ausschweigen, findet sie sich vielleicht nur in den asiatischen Wegerichen. Nichtsdestotrotz sind Wegeriche auch hierzulande schon seit langer Zeit wichtige Heilpflanzen. Schon die Asyrer sollen Wegerich gegen Schwellungen verwendet haben. Kelten und Germanen galten sie als heilig. Bei den Griechen und Römern war der Wegerich-Frischsaft bei Bisswunden oder Skorpionstichen beliebt. Schon damals wurden ganze Bücher über seine Heilwirkungen geschrieben. Mittelalterliche Kräuterbücher loben den Wegerich über alle maßen gegen zahlreiche Leiden der Lungen, gegen Schwindsucht, zur Blutreinigung und gegen alle Arten von Entzündungen. Er galt damals praktisch als Allesheiler – und ist es auch fast.
Die heutige Wissenschaft hat die seit dem Altertum genutzte antibakterielle Wirksamkeit der Wegeriche mittlerweile bestätigt. Neuere Studien verweisen auch auf eine mögliche antivirale und immunstärkende Wirkung des Breitwegerichs hin. Hauptverantwortlich für die antibiotischen und entzündungshemmenden Eigenschaften der Wegeriche ist der sekundäre Pflanzenstoff Aucubin. Er ist unter anderem für den bitteren Geschmack des Wegerich-Tee verantwortlich. Trocknet man die Blätter nicht schnell genug werden sie schwarz und das Aucubin wird zerstört. Zudem wird es von unseren Darmbakterien abgebaut, weshalb Wegerich als Tee zwar schleimlösend und entzündungshemmend ist, die antibakterielle Wirkung aber meist fehlt. In dieser Hinsicht besser sind Frischpflanzensaft oder Wegerich-Sirup.
Viele alte Rezepte beschreiben die Herstellung von Spitzwegerich-Sirup in einer Erdkammer, da die gleichmäßige Wärme des Erdbodens die Wirkstoffe schonend extrahiert und durch langsame Gärung konserviert. Dafür wird Spitzwegerich fein geschnitten immer abwechselnd mit einer Lage Zucker oder Honig in ein Glas geschichtet. Da die Masse schnell zusammensackt, füllt man das Glas auf diese Weise mehrere Tage lang nach bis nichts mehr hineinpasst. Dann soll das Glas mit mehreren Pergamentpapierschichten verschlossen für drei Monate in der Erde vergraben werden. Nach dieser Reifezeit wird der entstandene Sirup ausgepresst und in Flaschen an einem kühlen Ort aufbewahrt. Mir war diese Herstellungsmethode bisher zu umständlich, obwohl ich glaube, dass die Gärung in unseren heutigen gleich bleibend warmen Wohnungen auch ohne Erdgrube gut funktionieren würde. Eine einfachere und ungleich schnellere Methode ist die Herstellung eines Frischsaftes, den man dann einfach mit Honig vermischt. Ob diese Mischung genauso potent ist wie der Erd-Sirup, kann ich nicht sagen, aber wirksam ist sie auf jeden Fall.
Durch seine zusammenziehende und entzündungshemmende Wirkung ist der Wegerich allgemein ein gutes Wundkraut. Früher zerquetschte die frisch gepflückten Blätter und legte sie auf blutenden Wunden, um das Blut zu stillen. Heute rät man zwar allgemein davon ab, Pflanzen auf offene Wunden zu tun, aber bei Insektenstichen oder noch geschlossenen Blasen leistet der Wegerich auch immer noch sehr wirksam erste Hilfe. Umschläge mit Spitzwegerichsaft sollen laut alten Kräuterbüchern auch wiederkehrende Kopfschmerzen lindern oder ins Ohr geträufelt Ohrenweh nehmen. Einst träufelte man auch bei Augenentzündung den verdünnten Saft hinein.
Sogar Shakespeare lässt seinen Romeo den Breittwegerich im 1. Akt als Heilkraut gegen Knochenbrüche loben. Diese Anwendung empfiehlt auch Hildegard von Bingen: 3 bis 5mal am Tag eine Löffelspitze frischer Wegerich-Pflanzenbrei inklusive der Wurzeln mit Honig gemischt über längere Zeit soll die Heilung der gebrochenen Knochen fördern. Dazu verordnet sie eine warme Auflage aus den gekochten Blättern von 5 Teilen Wegerich und einem Teil Malve.
Kräuterpfarrer Künzle nennt den Wegerich das erste, beste und häufigste aller Heilkräuter. Er preist den Breitwegerich unter anderem zur Heilung und Kräftigung wunder Füße. Ein Blatt in Schuh soll die Füße des Wanderers beleben und heilend wirken. Die Kräuterkundige Maria Treben bezieht sich auf ihn, wenn sie den Wegerich bei Flechten und Ausschlägen empfiehlt. Auch Paracelsus nutzte die Blätter des Wegerichs als Wundauflage bei Blasen. Mit Salz zerrieben und auf den Hals aufgelegt, soll er laut Treben Kröpfe positiv beeinflussen.
Die amerikanische Kräuterheilkundige Susun S. Weed empfiehlt Breitwegerichsamen als wirksames Mittel gegen Mund-Soor und Windelekzem bei Babies. Ihre Anleitung beschreibt das Einweichen der Wegerichsamen über Nacht mit soviel Wasser, dass sie gerade bedeckt sind. Die entstehende gelartige Flüssigkeit muss laut Weed mehrmals am Tag auf die weißen Soorflecken im Mundbereich oder die Hautrötungen an Armbeugen oder im Genitalbereich getupft werden. Nach spätestens drei Tagen sollte diese Behandlung anschlagen, aber zur völligen Ausheilung noch mehrere Wochen lang fortgesetzt werden. Auch die Handel erhältlichen Samen von Flohsamen-Wegerich (plantago ovata oder psyllium) sollen nach Susun Weed ähnlich wirksam sein. Der Samenbrei dieser und der einheimischen Sorten ist laut Storl auch bei Durchfall und Darmentzündungen hilfreich und lindernd.
Die Homöopathie nutzt Spitzwegerichessenz bei neuralgischen Schmerzen, Erkrankungen der Atemwege und gegen Bettnässen bei Kindern.
Wer nun von diesen vielseitigen Pflanzen begeistert ist, sollte sie sich den Garten holen, um fernab von Hundewiesen und Gassi-Strecken ernten zu können. Der Anbau von Wegerichen im Garten ist nicht schwer, oft finden sich die Pflanzen von selber ein. Ihre Samen quellen bei Feuchtigkeit auf und werden klebrig, so haften sie gut an Schuhsohlen oder Tierpfoten und folgen den Fährten ihrer Träger. Der lateinische Gattungsname Plantago von Planta – die Fußsohle – weist ebenfalls auf diese Taktik der Verbreitung hin. Bei den Indianern sollen die Wegeriche deshalb den Beinamen „Fußstapfen des weißen Mannes“ getragen haben, weil sie in den Spuren der Siedler folgten.
Findet der Wegerich nicht von selbst in den Garten, kann man Saatgut sammeln oder im Handel erwerben. Alle Wegericharten sind ausdauernde Pflanzen, sie treiben also jedes Jahr wieder aus. Spitzwegerich bevorzugt grasige, eher trockene Standorte und lässt sich gut in einer Wiese ansiedeln. Er wächst aber auch als Solitärpflanze gut. Der Breitwegerich steht lieber am Rand der Wiese oder auf den Wegen zwischen den Beeten. Dort stört es ihn auch nicht, wenn Sie ab und zu auf ihn treten. Er mag es gerne feuchter und nährstoffreicher, ist aber in dieser Hinsicht sehr anpassungsfähig. In einigen Ländern Asiens und Südamerikas soll er sogar als Gemüse angebaut werden. Wegeriche sind Licht- und Kältekeimer. Man sollte sie also im Herbst einfach auf die Erde streuen und nicht eingraben.
Fröhliches Wildkräutern!
Der Wildkrautgarten
Schweizer Spitzwegerich-Käsesalat
250g mittelalten Gouda in Würfel und eine Zwiebel in Ringe schneiden, 50g junge Spitzwegerichblätter quer zur Blattader in feine Streifen wiegen. Aus 2 Esslöffel Öl, und je 1 Esslöffel Zitronensaft, Mineralwasser und Honig ein Dressing mischen und mit Salz und Pfeffer abschmecken. Dressing unterrühren und ein paar Minuten ziehen lassen. Mit einigen Spitzwegerichknospen garniert servieren.
Spitzwegerich-Frühlingsrollen
2 Händevoll junge Wegerichblätter längs zur Faser in feine Streifen schneiden, 200 g Sojakeimlinge kurz blanchieren und mit 300g in feinen Streifen angebratenem Hühnchen- oder Schweinefleisch mischen. Mit einem Honig, Sojasauce und etwas Chilipaste würzen. Blätter von asiatischem Reispapier für etwa 15 Sekunden in warmem Wasser einweichen bis sie biegsam sind, mit einem Klecks der Füllmischung füllen und zur Frühlingsrolle falten. Für eine Viertelstunde kühl stellen und mit süß-scharfer Asia-Sauce servieren, je nach Geschmack können die Rollen auch noch angebraten oder frittiert werden.